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Montag, 3. Juli 2006
Bioblut
am Montag, 3. Juli 2006, 20:35 im Topic 'Kulzgelschickten'
Bioblut
Hätte er es nicht schon hundert Mal gesehen, so hätte er es wahrscheinlich schön gefunden. Manche Leute finden ihre Umgebung, vorausgesetzt sie ist nach ihrem Geschmack, immer schöner, je länger sie sie kennen. Marius Steiner gehörte nicht dazu. Seit fünf Jahren wohnte er in dem großen Reihenhaus im bescheidenen Kleinanderbrück. Seit fünf Jahren sah er immer die gleichen Mieter. Seit fünf Jahren hatte sich nichts in seiner Wohnung verändert. Seit fünf Jahren lebte er allein und einsam in diesem Scheißhaus. Seit fünf Jahren ging er um 9 Uhr morgens in sein Geschäft im Erdgeschoss des Hauses. Seit fünf Jahren machte er von Eins bis Zwei Uhr Mittagspause und verließ den Laden um 19 Uhr.
Es war ein fröhlicher Sommermorgen. Warm, aber noch nicht so schwül wie mittags. Der Berufsverkehr tobte auf der Straße und die Schulkinder hatten ihre erste große Pause. Marius zog sich seinen weißen Kittel über und ging aus seiner Wohnung. Auf dem Treppenhaus traf er die pummelige Blondine aus dem obersten Stockwerk, die ihren Müll runterbrachte. Er lächelte ihr zu und wünschte ihr einen guten Morgen. Keiner der anderen Mieter hatte ihn jemals schlecht drauf erlebt, er versteckte seine schlechte Laune stets unter der Fassade des höflichen Verkäuferlächelns. Bei der italienischen Großfamilie nebenan stand die Haustür offen und Elsa, das Baby, torkelte grinsend auf dem Wohnungsflur hin und her, bis die Lorella sie auf den Arm nahm und in die Küche abtransportierte. Als Lorella Marius bemerkte, sagte sie „Guten Morgen!“. „Guten Morgen!“, erwiderte Marius und nickte höflich. Warum sie nicht in der Schule sei, fragte er. Zweite Stunde, sagte sie gelassen in ihrem lila Spagettitop, dem weißblauen Rock und den Westernstiefeln. Er sah nicht ganz überzeugt in ihr geschminktes Gesicht. Nein wirklich, erwiderte das etwas frühreife Mädchen bekräftigend. Na dann, sagte er und schritt winkend die nächsten Stufen hinab. Er traf noch ein paar andere Mieter.
Als Marius hinter seiner Theke saß, fragte er sich, warum er keine Freunde hatte. Was hatten die anderen anders gemacht? Oder was hatte er falsch gemacht, dass er so ein einsamer Wolf geworden war. Er sah auf die Uhr und fragte sich wo die Lieferung Honigkekse blieb. Und weil ihm nichts besseres einfiel fuhr er den Computer hoch, als der erste Käufer den Laden betrat. Es war wie immer die alte Frau vom Haus nebenan. Eine alte, tattrige Schnepfe, die mit von Gicht gekrümmten Fingern in ihrem Ledergeldbeutel aus dem letzten Jahrhundert rührt und nicht etwa in einem Bioladen einkaufte weil es dort gesünder war als bei Aldi, sondern schlicht weil sein Laden näher lag. Jetzt wühlte sie im Marmeladenregal herum. Marius sah ihr mit etwas Abscheu zu, wie sie eine Erdbeermarmelade herausholte, sich zu ihm umdrehte und wie jedes Mal behauptete, sie hätte bei Aldi eine für den halben Preis gesehen. Steck dir deine Aldipampe doch sonst wo hin, du senile alte Hexe. Aber wie jedes Mal erwiderte Marius lächelnd, diese sei aber qualitativ besser. Ach..., erwiderte sie ungläubig und gehässig und schmiss das Marmeladenglas auf die Theke. „Zwei Euro bitte“, sülzte Marius.
Es war inzwischen elf Uhr geworden und es waren schon viele Kunden gekommen, hauptsächlich Hausfrauen. Irma, eine Mieterin, war auch da gewesen und der Sinti aus dem Dachgeschoss. Aber jetzt saß er wieder da und lauschte dem Radio. Da wurde die Tür aufgerissen und Marius wurde von dem Klappern des Mobiles, was vor der Tür hing, aufgeschreckt. Ein Mann mit Skimaske, würde er der Polizei später sagen. Er kam mit einer Pistole auf mich gerichtet durch die Tür und begann zu schreien, ich solle ihm Geld geben und dann... Marius starrte den Mann an. Anfangs kam er mit der Situation nicht klar, denn so einen radikalen Einbruch in sein immergleiches Leben, hatte er noch nie erlebt. Er erlebte jeden Tag seit Jahren aufs neue gleich. Es war eine Dauerwiederholung. Und jetzt plötzlich steht so ein Skimasken-maskierter Verbrecher vor ihm und schreit ihn an, er solle ihm das Geld in der Kasse geben. Wissen sie, also ich wusste erst mal gar nicht was ich hätte tun sollen, weil das alles so schnell ging. Naja, dann hab ich nach der Kasse gegriffen und alles Geld rausgeholt und hingelegt. Der Verbrecher ging mit erhobener Pistole auf ihn zu. Marius spielte den Geschockten, und das ziemlich glaubwürdig. Doch in Wahrheit spielte er schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken, seinen Revolver aus der Schublade unterhalb der Theke zu ziehen, aber im Moment ging das schlecht, denn der Maskierte beobachtete Marius ununterbrochen und seine Nerven lagen wahrscheinlich blanker, als die des Opfers. Der Verbrecher wurde plötzlich lebhaft und riss das Geldbündel von der Theke, als die Tür aufging und Melanie Parker, eine pummelige Blondine mit blühendem Optimismus, hereinstürmte und übertrieben fröhlich „Hallo!“ rief. Da sah sie die groteske Szene. Die Fröhlichkeit des blonden Walfisches schlug sogleich ins andere Extrem um: ekstatische Panik. Melanie warf ihre Arme in die Höhe und rumpelte zappelnd und schreiend in das Regal hinter ihr. Sie schrie sich ihre Kehle immer noch aus ihrem fußballartigen Korpus, als der Räuber zur Tür schnellte. Marius sah seine Chance, riss die Schublade auf, holte den bereits entsicherten Revolver heraus und erschoss den Maskierten kurz vor der Tür, so dass er hinfiel und stöhnend dagegen klatschte. Die Kugel hatte die Stirn durchtrennt und war aus dem Hinterkopf wieder ausgetreten. Blut und etwas Hirn klebte jetzt auf Müsliriegelpackungen und auf Melanie Parkers rosa Shirt. Die Blondine riss die Augen auf. Ein ohnmächtiges Seufzen entrann ihren runden Lippen. Marius stand da und war stolz auf sich. So kindisch es klang, er war jetzt zum Helden geworden. Er hatte einen Bösewicht aus der Welt geräumt und die Welt besser gemacht. Größenwahn. Er war größenwahnsinnig geworden. Die Macht mit einer Pistole in der Hand Gott zu spielen. Über Leben und Tod zu entscheiden. Man kann sich alles holen damit, dachte er. Alles. Der Maskierte rannte zur Tür und dann stand da diese Frau. Ja, und dann hat er die einfach umgebracht. Ich hab dann zum Revolver gegriffen und wollte ihn damit an der Flucht hindern. Aber dann hab ich ihn aus Versehen, also....
„Sie haben uns gerettet, Herr Steiner! Sie haben mich gerettet!“, schrie Melanie Parker. Marius lächelte und zielte mit dem Revolver auf Melanie Parker.
Hätte er es nicht schon hundert Mal gesehen, so hätte er es wahrscheinlich schön gefunden. Manche Leute finden ihre Umgebung, vorausgesetzt sie ist nach ihrem Geschmack, immer schöner, je länger sie sie kennen. Marius Steiner gehörte nicht dazu. Seit fünf Jahren wohnte er in dem großen Reihenhaus im bescheidenen Kleinanderbrück. Seit fünf Jahren sah er immer die gleichen Mieter. Seit fünf Jahren hatte sich nichts in seiner Wohnung verändert. Seit fünf Jahren lebte er allein und einsam in diesem Scheißhaus. Seit fünf Jahren ging er um 9 Uhr morgens in sein Geschäft im Erdgeschoss des Hauses. Seit fünf Jahren machte er von Eins bis Zwei Uhr Mittagspause und verließ den Laden um 19 Uhr.
Es war ein fröhlicher Sommermorgen. Warm, aber noch nicht so schwül wie mittags. Der Berufsverkehr tobte auf der Straße und die Schulkinder hatten ihre erste große Pause. Marius zog sich seinen weißen Kittel über und ging aus seiner Wohnung. Auf dem Treppenhaus traf er die pummelige Blondine aus dem obersten Stockwerk, die ihren Müll runterbrachte. Er lächelte ihr zu und wünschte ihr einen guten Morgen. Keiner der anderen Mieter hatte ihn jemals schlecht drauf erlebt, er versteckte seine schlechte Laune stets unter der Fassade des höflichen Verkäuferlächelns. Bei der italienischen Großfamilie nebenan stand die Haustür offen und Elsa, das Baby, torkelte grinsend auf dem Wohnungsflur hin und her, bis die Lorella sie auf den Arm nahm und in die Küche abtransportierte. Als Lorella Marius bemerkte, sagte sie „Guten Morgen!“. „Guten Morgen!“, erwiderte Marius und nickte höflich. Warum sie nicht in der Schule sei, fragte er. Zweite Stunde, sagte sie gelassen in ihrem lila Spagettitop, dem weißblauen Rock und den Westernstiefeln. Er sah nicht ganz überzeugt in ihr geschminktes Gesicht. Nein wirklich, erwiderte das etwas frühreife Mädchen bekräftigend. Na dann, sagte er und schritt winkend die nächsten Stufen hinab. Er traf noch ein paar andere Mieter.
Als Marius hinter seiner Theke saß, fragte er sich, warum er keine Freunde hatte. Was hatten die anderen anders gemacht? Oder was hatte er falsch gemacht, dass er so ein einsamer Wolf geworden war. Er sah auf die Uhr und fragte sich wo die Lieferung Honigkekse blieb. Und weil ihm nichts besseres einfiel fuhr er den Computer hoch, als der erste Käufer den Laden betrat. Es war wie immer die alte Frau vom Haus nebenan. Eine alte, tattrige Schnepfe, die mit von Gicht gekrümmten Fingern in ihrem Ledergeldbeutel aus dem letzten Jahrhundert rührt und nicht etwa in einem Bioladen einkaufte weil es dort gesünder war als bei Aldi, sondern schlicht weil sein Laden näher lag. Jetzt wühlte sie im Marmeladenregal herum. Marius sah ihr mit etwas Abscheu zu, wie sie eine Erdbeermarmelade herausholte, sich zu ihm umdrehte und wie jedes Mal behauptete, sie hätte bei Aldi eine für den halben Preis gesehen. Steck dir deine Aldipampe doch sonst wo hin, du senile alte Hexe. Aber wie jedes Mal erwiderte Marius lächelnd, diese sei aber qualitativ besser. Ach..., erwiderte sie ungläubig und gehässig und schmiss das Marmeladenglas auf die Theke. „Zwei Euro bitte“, sülzte Marius.
Es war inzwischen elf Uhr geworden und es waren schon viele Kunden gekommen, hauptsächlich Hausfrauen. Irma, eine Mieterin, war auch da gewesen und der Sinti aus dem Dachgeschoss. Aber jetzt saß er wieder da und lauschte dem Radio. Da wurde die Tür aufgerissen und Marius wurde von dem Klappern des Mobiles, was vor der Tür hing, aufgeschreckt. Ein Mann mit Skimaske, würde er der Polizei später sagen. Er kam mit einer Pistole auf mich gerichtet durch die Tür und begann zu schreien, ich solle ihm Geld geben und dann... Marius starrte den Mann an. Anfangs kam er mit der Situation nicht klar, denn so einen radikalen Einbruch in sein immergleiches Leben, hatte er noch nie erlebt. Er erlebte jeden Tag seit Jahren aufs neue gleich. Es war eine Dauerwiederholung. Und jetzt plötzlich steht so ein Skimasken-maskierter Verbrecher vor ihm und schreit ihn an, er solle ihm das Geld in der Kasse geben. Wissen sie, also ich wusste erst mal gar nicht was ich hätte tun sollen, weil das alles so schnell ging. Naja, dann hab ich nach der Kasse gegriffen und alles Geld rausgeholt und hingelegt. Der Verbrecher ging mit erhobener Pistole auf ihn zu. Marius spielte den Geschockten, und das ziemlich glaubwürdig. Doch in Wahrheit spielte er schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken, seinen Revolver aus der Schublade unterhalb der Theke zu ziehen, aber im Moment ging das schlecht, denn der Maskierte beobachtete Marius ununterbrochen und seine Nerven lagen wahrscheinlich blanker, als die des Opfers. Der Verbrecher wurde plötzlich lebhaft und riss das Geldbündel von der Theke, als die Tür aufging und Melanie Parker, eine pummelige Blondine mit blühendem Optimismus, hereinstürmte und übertrieben fröhlich „Hallo!“ rief. Da sah sie die groteske Szene. Die Fröhlichkeit des blonden Walfisches schlug sogleich ins andere Extrem um: ekstatische Panik. Melanie warf ihre Arme in die Höhe und rumpelte zappelnd und schreiend in das Regal hinter ihr. Sie schrie sich ihre Kehle immer noch aus ihrem fußballartigen Korpus, als der Räuber zur Tür schnellte. Marius sah seine Chance, riss die Schublade auf, holte den bereits entsicherten Revolver heraus und erschoss den Maskierten kurz vor der Tür, so dass er hinfiel und stöhnend dagegen klatschte. Die Kugel hatte die Stirn durchtrennt und war aus dem Hinterkopf wieder ausgetreten. Blut und etwas Hirn klebte jetzt auf Müsliriegelpackungen und auf Melanie Parkers rosa Shirt. Die Blondine riss die Augen auf. Ein ohnmächtiges Seufzen entrann ihren runden Lippen. Marius stand da und war stolz auf sich. So kindisch es klang, er war jetzt zum Helden geworden. Er hatte einen Bösewicht aus der Welt geräumt und die Welt besser gemacht. Größenwahn. Er war größenwahnsinnig geworden. Die Macht mit einer Pistole in der Hand Gott zu spielen. Über Leben und Tod zu entscheiden. Man kann sich alles holen damit, dachte er. Alles. Der Maskierte rannte zur Tür und dann stand da diese Frau. Ja, und dann hat er die einfach umgebracht. Ich hab dann zum Revolver gegriffen und wollte ihn damit an der Flucht hindern. Aber dann hab ich ihn aus Versehen, also....
„Sie haben uns gerettet, Herr Steiner! Sie haben mich gerettet!“, schrie Melanie Parker. Marius lächelte und zielte mit dem Revolver auf Melanie Parker.
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